Mögliches „neues“ Mozart-Werk in Grazer Sammlung identifiziert

Die Klavierstücke „Mailänder Variationen“ aus den Beständen des Steiermärkischen Landesarchivs, zu deren Autorenschaft bisher nichts bekannt war, werden von einem deutschen Wissenschaftler mit Hilfe des Landesarchivs nach eingehender Untersuchung dem wichtigsten Komponisten seiner Zeit zugeordnet: Wolfgang Amadeus Mozart.

Graz (8. September 2024).- In seiner kurzen Lebensspanne hat Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) der Welt ein umfassendes musikalisches Œuvre hinterlassen, das die Musikgeschichte maßgeblich geprägt hat und höchsten Stellenwert genießt. Schon bald nach Mozarts frühem Tod beschäftigte Sammler, Musikliebhaber und letztlich auch die Musikwissenschaft die Frage, was eigentlich alles zum Werk des musikalischen Vielarbeiters Mozart zu zählen sei – eine Frage, die bisher nicht vollständig beantwortet werden konnte und immer noch Thema wissenschaftlicher Untersuchungen ist.

Ein Werk aus den Beständen des Steiermärkischen Landesarchivs in Graz, die „Mailänder Variationen”, erlangt nun neue Aufmerksamkeit: Diese Klavierstücke sind im Köchelverzeichnis, dem Werkverzeichnis von Mozarts Kompositionen, zwar erwähnt, allerdings tragen sie keine Nummer, denn sie galten als „unmozartisch”. Sie wurden bisher lediglich dem Umfeld Mozarts zugeordnet, Angaben zu einem konkreten Komponisten der Variationen gab es nicht.

Klarheit bestand nur über den Anlass für die Entstehung der „Mailänder Variationen”: Am 15. Oktober 1771 heiratete Erzherzog Ferdinand Karl, vierter Sohn von Kaiserin Maria Theresia, in Mailand Maria Beatrice d’Este. Der damals 15-jährige Mozart schrieb für die Feierlichkeiten die Oper „Ascanio in Alba”. Die „Mailänder Variationen” entstanden zeitgleich, die Autorenschaft blieb bisher im Dunkel der Geschichte verborgen. Der Zyklus wurde bisher auch nur dreimal in der musikwissenschaftlichen Literatur erwähnt und nie veröffentlicht.

Paul Duncan, Musikhistoriker am Landesarchiv, hat nun nachgewiesen, dass das Manuskript der „Variationen” aus der Werkstatt des Wiener Kopisten Johannes Traeg (1747-1805) stammt und möglicherweise noch zu Mozarts Lebzeiten angefertigt wurde. Auch ein deutscher Wissenschaftler hat sich mit dem Klavierwerk beschäftigt und ist zu neuen Erkenntnissen gekommen: Carsten Wollin hat das bisher noch nie publizierte Manuskript, das um 1791 in Wien entstanden ist und den Titel „Thema con | Variazioni | per il | Clavi Cembalo | Del Sigre Wolfg: Amade Mozart” trägt, näher unter die Lupe genommen. Mit der nun erfolgten erstmaligen Veröffentlichung durch Wollin legt dieser auch neue Argumente zur Herkunft der „Mailänder Variationen” vor. Die Conclusio des deutschen Wissenschaftlers zur Autorenschaft führt zu keinem Geringeren als dem musikalischen Wunderkind des 18. Jahrhunderts höchstselbst: Wolfgang Amadeus Mozart. Das wenig bekannte und vermutlich seit zweieinhalb Jahrhunderten nicht gespielte Werk fällt in eine Lücke von mindestens sieben Jahren, aus denen bisher keine Klavierwerke von Mozart bekannt sind.

„Wolfgang Amadeus Mozart ist einer der allergrößten Komponisten der Musikgeschichte, der einfach untrennbar zu Österreich gehört – und nun auch zur Steiermark. Es ist eine ganz große Freude und eine großartige Leistung, dass diese historische Entdeckung bei uns im Steiermärkischen Landesarchiv gemacht wurde. Die Historiker haben mit diesem Sensationsfund ausgezeichnete Arbeit geleistet! Wir können wirklich stolz sein, dass Mozart in der Steiermark ein Comeback feiert,” betont Landeshauptmann Christopher Drexler, in dessen Zuständigkeitsbereich auch das Steiermärkische Landesarchiv fällt.

„Mozart war zeitlebens nicht in Graz, umso erfreulicher ist es, dass die jüngste Mozart-Entdeckung in unserem Haus gemacht wurde. Die wissenschaftliche Arbeit von Carsten Wollin macht es plausibel, dass die ‚Mailänder Variationen‘ auf den jungen Mozart zurückgehen”, erklärt Landesarchiv-Direktor Gernot Peter Obersteiner.

Das Manuskript der „Mailänder Variationen” ist Teil der sogenannten „Lannoy-Sammlung” des Steiermärkischen Landesarchivs. Der Sammler Heinrich Eduard Josef von Lannoy starb 1853, nach dem Tod seiner Frau Josefine ging die bedeutende Sammlung mit über tausend Manuskripten an deren Bruder Bartholomäus von Carneri über. Dieser schenkte die Sammlung 1877 dem Musikverein für Steiermark. Später wurde die Bibliothek des Johann-Joseph-Fux-Konservatoriums die Nachfolgerin der Bibliothek des Musikvereins. Seit 2005 werden Teile der Konservatoriums-Bibliothek, darunter die Lannoy-Sammlung, im Steiermärkischen Landesarchiv verwahrt.

Die Erstpublikation der „Mailänder Variationen” sowie die wissenschaftliche Arbeit von Carsten Wollin zur Entstehungsgeschichte sind dieser Tage im Ortus Musikverlag erschienen. Der Verlag erklärt in seiner Mitteilung zur Veröffentlichung der „Mailänder Variationen”: „Das Werk verdient eine vorurteilslose Beschäftigung, die mit dem Erstdruck und der Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte durch Carsten Wollin beginnen kann.”

Abseits der neuen Erkenntnisse zu den „Mailänder Variationen” sind die musikhistorischen Quellen im heurigen Jahr ein bedeutendes Thema im Steiermärkischen Landesarchiv: Der Steirische Archivtag 2024 findet am 16. Oktober unter dem Titel „Archive und Musikwissenschaft” statt.

Über den Autor

Dr. Rainer Hilbrand
Medieninhaber u. Geschäftsführer

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