“Experte, pass auf! Die Lawine weiß nicht, dass du Experte bist.“ Mit dieser Aussage wies bereits der einstige Schweizer Lawinenexperte André Roch darauf hin, dass auch die Geübtesten nicht vor den Gefahren von Lawinen gefeit sind. Erstaunlicherweise war rund die Hälfte der Menschen, die in den letzten Jahren in Lawinen verunfallten, alpinistisch erfahren und ausgebildet. Laut Österreichischem Alpenverein schnappt die „Expertenfalle“ meist dann zu, wenn Profis mit der Zeit „eine Art Unverwundbarkeitsglauben und die Illusion der Kontrolle am Berg” entwickeln. Der Alpenverein möchte diese Problematik nun verstärkt ins Bewusstsein der Bergsportler bringen.
„Wir dürfen nicht mehr darüber hinwegsehen, wie viele Experten, also alpinistisch erfahrene und ausgebildete Personen, von Lawinenunfällen betroffen sind“, erklärt Michael Larcher, Leiter der Bergsportabteilung im Österreichischen Alpenverein. In der Wintersaison 2023/24 waren 369 Personen in Lawinenunfällen beteiligt, 14 Personen verloren dabei ihr Leben.* „Wir gehen davon aus, dass in rund der Hälfte der Lawinenunfälle in den letzten Jahren Menschen verwickelt waren, die sehr erfahren waren“, betont Larcher. „Generell müssen wir das Klischee aufgeben, dass am Berg nur Einsteiger, Leichtsinnige und Touristen verunglücken. Dieses Vorurteil gilt es zu überwinden.“
Warum die „Expertenfalle“ zuschnappt
Dass die sogenannte „Expertenfalle“ so häufig zuschnappt, dafür nennt Michael Larcher drei mögliche Gründe: „Als Experte gibt man sich leicht einer Illusion der Kontrolle hin. Profis sind viel unterwegs und machen laufend erfolgreiche Erfahrungen. Immer mehr kann sich dann das Gefühl etablieren, man hätte die Kontrolle über Gefahren am Berg. Gerade im Zusammenhang mit Lawinengefahr ist das jedoch von Grund auf falsch.“ Und weiter: „Es gibt keine Statistik dazu, wie oft man am Berg einfach nur Glück gehabt hat.“
Zudem können alpinistische Experten laut Larcher eine Art Unverwundbarkeitsglauben und Überheblichkeit entwickeln. Und zwar in dem Sinne, dass Regeln für Anfänger gelten, aber nicht für Profis. „Als Bergsport-Experte tendiere ich dazu, immer mehr Dinge wegzulassen, von denen ich zwar weiß, dass sie richtig und nützlich sind, die für mich aber scheinbar nicht mehr notwendig sind. Da werden beispielsweise klar vorgegebene Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr gemacht. Gerade im Zusammenhang mit Lawinen kann dies jedoch fatale Auswirkungen haben“, erklärt Larcher.
Eine dritte Falle gelte laut Larcher besonders für Bergführer: „Auch als Bergführer kann ich in eine Expertenfalle tappen. Dies kann dann der Fall sein, wenn mich der Erwartungsdruck dazu verführt, die Risikobereitschaft zu erhöhen. Wenn ich mir beispielsweise die Unfälle bei der hohen Lawinenwarnstufe 4 anschaue, ist der Expertenanteil erschreckend hoch.“
Vermehrte Einbindung in der Ausbildung
Laut Alpenverein muss in der Ausbildung deutlicher auf diese Fallen hingewiesen werden. „Wir müssen das Thema in Zukunft noch mehr ansprechen und nicht mehr tabuisieren“, betont Michael Larcher. Und weiter: „In der Entwicklung vom Anfänger über den Fortgeschrittenen bis zum Experten wird automatisch suggeriert, dass ich immer sicherer werde. Überspitzt gesagt: Wenn ich Experte bin, bin ich unverwundbar.“ Es braucht laut Larcher Ausbildungskonzepte, die auch jene Gefahren und Denkfehler sichtbar machen, die auf diesem Lernweg entstehen.