Die Zahl der Krankenstandstage stieg in den beiden vergangenen Jahren wieder stark an. Darüber hinaus gehen immer mehr trotz Krankheit zur Arbeit. Und es besteht eine große Unzufriedenheit mit dem heimischen Gesundheitssystem, gleichzeitig aber auch Offenheit gegenüber neuen Ansätzen.
Text: Harald Klöckl, Markus Hinterberger
Der Fehlzeitenreport der Sozialversicherung bietet seit über 15 Jahren eine Übersicht zum Krankenstandsgeschehen in Österreich. Laut dem jüngsten aus 2024 (mit Daten aus den Jahren 2022 und 2023) verbrachten die unselbstständig Beschäftigten im Jahresverlauf 2022 durchschnittlich 14,9 Kalendertage im Krankenstand, um ein Viertel mehr Tage als 2021 (12,3 Kalendertage). 2023 erhöhte sich diese Zahl sogar auf 15,4 Tage je Beschäftigten. In diesen beiden Jahren waren auch jeweils rund sieben von zehn Erwerbstätigen zumindest einmal pro Jahr im Krankenstand.
Positiv: Pro Krankheitsfall fehlt man aktuell nur mehr etwas über neun Tage, das ist ein Allzeittief. Auch die Zahl der Arbeitsunfälle ist auf sehr niedrigem Niveau – nur 2,3 % der Beschäftigten erlitten im Jahr 2023 einen solchen. „Die Verschiebung der Wirtschaftsstruktur in Richtung Dienstleistungen wirkt bei Arbeitsunfällen dämpfend“, erklärt Andreas Huss, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger.
Jeder Krankenstandstag kostet 250 Euro.
Dennoch bleiben unterm Strich so lange Fehlzeiten wie zuletzt vor rund 45 Jahren: Die 15,4 Tage von 2023 (bei der Statistik Austria sind diese historischen Werte, beginnend mit 1965, anfangs nur in 5-Jahres-Abständen erfasst) bedeuten einen Wert, der zuletzt nur im Jahr 1980 höher war und der dritthöchste seit Beginn dieser Aufzeichnungen ist. Entsprechend hoch wie nie sind auch die Belastungen, aktuell vor allem für die Unternehmen: Die direkten betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Kosten aller Fehlzeiten wegen Krankheit oder Arbeitsunfall machten im Jahr 2022 rund 5,3 Milliarden Euro aus, das waren 1,2 % des Bruttoinlandsprodukts. „Aus Sicht der Betriebe ist zu hoffen, dass der starke Anstieg der Krankenstandstage einmalig ist und das Niveau wieder zurückgeht“, so Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung Sozial- und Gesundheitspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich. Denn für die Unternehmen fallen Entgeltfortzahlung, Überstunden des arbeitenden Personals und verlorene Wertschöpfung an, die sich im Schnitt auf rund 250 Euro je Krankenstandstag summieren.
Vom Durchschnittswert 15,4 im Jahr 2023 weichen die Krankenstandstage der Männer um 0,8 nach unten, die der Frauen um 0,8 nach oben ab. Während die 20- bis 49-Jährigen pro Jahr knapp über 13 Tage in der Arbeit fehlen, steigt dieser Wert bei den 50- bis 64-Jährigen auf 20,4 Tage an. Die älteren Arbeitskräfte treten allerdings deutlich weniger oft als junge einen Krankenstand an, diese fallen dann jedoch deutlich länger aus.
Gesunde und weniger gesunde Berufe.
Große Unterschiede gibt es auch bei einer Differenzierung nach Berufsgruppen. Weit über dem Schnitt von 15,4 werden Krankenstandstage im Gesundheits- und Sozialwesen (18,5) verbucht, dem laut Statistik offenbar „krankmachendsten“ Berufsfeld überhaupt. Hier gehen rund zwei Drittel auch krank arbeiten – am höchsten ist der Anteil in den Pflegeberufen im engsten Sinn. Ähnlich fordernd sind nur Bergbau (17,2) sowie „öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung“ mit 17 Tagen. Sehr „gesunde Jobs“ mit jeweils nur rund zehn Fehltagen pro Jahr und Person bieten hingegen (vielleicht etwas überraschend) Land- und Forstwirtschaft, dazu auch Information und Kommunikation, freiberufliche/wissenschaftliche/technische Dienstleistungen sowie die Arbeit in Körperschaften und exterritorialen Organisationen.
Der „Unsicherheitsfaktor“ Homeoffice.
Die Unschärfe bei diesen Statistiken, was die Berufsgruppen angeht, scheint Homeoffice zu sein. Laut dem aktuellsten Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer gingen im Vorjahr 53 % der Befragten trotz Erkrankung zum Arbeitsplatz. Von allen, die eine Homeoffice-Option nutzen, gaben sogar 61 % an, dort auch fallweise krank gearbeitet zu haben. Unklar ist, ob sich im Homeoffice weniger Arbeitnehmer krankmeldeten oder ob sie tatsächlich zu Hause weniger oft krank wurden. Auffallend in Hinblick auf Homeoffice im Zeitverlauf: Die Krankenstandstage pendelten ab dem Jahr 2000 immer zwischen 12 und 14,4 Tagen und gingen in den beiden Pandemie-(und Homeoffice-)Jahren 2020 und 2021 merklich nach unten (12,7 und 12,3 Tage), um zwischen 2021 und 2023 auf 15,4 Tage stark anzusteigen.
59 % sind Präsentisten.
Das Krankenstandsgeschehen zeigt einmal mehr die Wichtigkeit von Prävention, guten Arbeitsbedingungen und bestmöglicher Versorgung von chronischen Erkrankungen.
Unter „Präsentismus“ versteht man das Phänomen, dass Menschen trotz Krankheit oder gesundheitlicher Beeinträchtigung arbeiten: Während vor fünf Jahren nur rund ein Drittel auch krank zur Arbeit gegangen ist, ist dieser Anteil in Österreich seit Beginn der Pandemie auf über 50 % angestiegen. 2023 wurde laut IFES mit 59 % ein neuerlicher Höchststand erreicht. Damit liegt Österreich auf einem ähnlichen Niveau wie Deutschland. „Das Krankenstandsgeschehen zeigt einmal mehr die Wichtigkeit von Prävention, guten Arbeitsbedingungen und bestmöglicher Versorgung von chronischen Erkrankungen. In allen drei Bereichen hat Österreich enormen Aufholbedarf“, sagt Wolfgang Panhölzl, Leiter der Abteilung Sozialversicherung in der Arbeiterkammer Wien.
Heimischer Gesundheitszustand ist alarmierend.
Darüber hinaus zeichnet eine Umfrage von „Wie gesund ist eigentlich …“ im August 2024 ein ernüchterndes Bild, wenn es um den Gesundheitszustand der Österreicherinnen und Österreicher geht. Demnach leiden zwei Drittel der Bevölkerung aktuell an gesundheitlichen Beschwerden. Probleme des Bewegungsapparates sowie Herz-Kreislauf-Gefäß-Erkrankungen wurden dabei am häufigsten genannt. Zudem gab lediglich knapp die Hälfte der 1.000 Befragten an, sich gesund zu ernähren. Die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass viele Österreicher keinen regelmäßigen Sport treiben – 28 % sind demnach nicht wöchentlich sportlich aktiv. „Österreich steht vor großen Herausforderungen, wenn es darum geht, den Gesundheitszustand seiner Bürgerinnen und Bürger zu verbessern und präventionsorientierte Gesundheitsstrategien zu entwickeln“, sagt Thomas Schwabl, Geschäftsführer von Marketagent, der diese Studie begleitet hat.
Unzufriedenheit mit Gesundheitssystem und Präventionsangebot.
In weiterer Folge sind nur knapp 10 % mit dem österreichischen Gesundheitssystem sehr zufrieden. Ein gutes Drittel ist immerhin eher zufrieden (36 %). Besonders kritisch sehen viele die langen Wartezeiten und die Zugänglichkeit von Gesundheitsleistungen. Zudem ist das Vertrauen der Österreicher in die Schulmedizin begrenzt: Gerade einmal 56 % geben an, der Schulmedizin sehr oder eher stark zu vertrauen. „Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen den Handlungsbedarf nicht nur im österreichischen Gesundheitssystem, sondern auch in Unternehmen. Denn Gesundheit ist nicht nur eine individuelle Verantwortung, sondern auch eine strategische Herausforderung für Institutionen, Regionen und Unternehmen“, erläutert Schwabl. Gleichzeitig besteht auch im Bereich der Krankheitsvorsorge akuter Nachholbedarf. Angesichts wachsender Gesundheitsprobleme, einer alternden Bevölkerung und der dringenden Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen wird deutlich: Neue, zukunftsweisende Strategien sind unerlässlich. Und die Offenheit gegenüber alternativen und komplementären Gesundheitsansätzen ist in der Bevölkerung durchaus vorhanden. Rund die Hälfte bekundet Interesse an alternativen Methoden zur Gesundheitsvorsorge. Dazu zählt etwa Biohacking.
Biohacking als neuer Präventionsansatz.
Drei von zehn Österreichern haben bereits von Biohacking, dem gezielten Einsatz wissenschaftlich fundierter Methoden und Technologien zur Optimierung der biologischen Funktionen des Körpers, gehört. Von Biohacking erhoffen sich (zukünftige) Anwender insbesondere eine Erhöhung der Energie und Vitalität (63 %), eine Steigerung der körperlichen Fitness (60 %) und die Vorbeugung gegen Krankheiten (55 %). „Besonders interessant ist die präventive Ausrichtung des Biohackings. Während das traditionelle Gesundheitssystem in Österreich oft auf die Behandlung bestehender Krankheiten fokussiert ist, bietet Biohacking die Möglichkeit, proaktiv Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit zu ergreifen. Zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher glauben, dass Biohacking positive Auswirkungen auf Körper und Geist haben kann“, so Charlotte Hager, Expertin für Change und Geschäftsführerin des qualitativen Marktforschungsinstitutes comrecon brand navigation, abschließend.
Aus dem Magazin forum.ksv – Ausgabe 04/2024.